Wissenswertes
Aus „Frankfurter Rundschau 6./7. Juli 2024) von Christian Satorius
Waldbaden in Blau
Das Projekt „Blue Health“ versucht zu ergründen, warum die Nähe zum Wasser glücklich macht.
Wer Urlaub am Meer macht, weiß, wie gut es tun kann, den Wellen zu lauschen, Salz auf den Lippen
und den Wind in den Haaren <zu spüren>. Das bleibt nicht ohne Auswirkung auf die geistige und körperliche Gesundheit. Die Umweltpsychologin Sandra J. Geiger von der Universität Wien und ihr Team haben die Zusammenhänge in einer Studie, die im Fachjournal “Communication Earth & Environment“ veröffentlich wurde, genauer untersucht.
Es steckt in den Genen.
„Wir haben uns angeschaut, ob Menschen, die am Meer wohnen oder sich häufiger dort aufhalten, angeben, gesünder zu sein“, sagt Geiger. Sie und ihr Team, haben Daten ausgewertet, die im Zuge des von der EU finanzierten Horizon-2020-Projekts „Seas, Oceans and Public Health in Europe“ erhoben wurden. Darin wurden 15000 Personen in 14 europäischen Ländern, darunter Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Portugal, Spanien und Grobritannien sowie Australien zu ihrer Meinung über verschiedene Aktivitäten am Meer und deren Gesundheit befragt. “Über alle 15 Länder hinweg zeigt sich, dass Menschen angeben, gesünder zu sein, wenn sie in der Nähe des Meeres wohnen oder sich am Meer aufhalten, unabhängig von Land und eigenem Einkommen“, resümiert die Umweltpsychologin, „Es ist erstaunlich, dass wir in allen 15 Ländern so einheitliche und klare Muster erkennen.“
Doch warum ist das so? Der US-amerikanische Meeresbiologe Wallace J. Nichols, der Blaue Räume über Jahre hinweg erforscht hat, erklärt die Liebe zum Wasser mit der Evolution: „Unsere Ahnen entstammen dem Wasser. Der menschliche Embryo hat im frühen Entwicklungsstadium noch kiemenartige Strukturen und unsere ersten neun Lebensmonate verbringen wir im Fruchtwasser des Mutterleibes.“
Ist das Meer zu weit, dann tut´s auch ein Brunnen.
Interessanterweise decken sich die positiven Effekte zum großen Teil denen des Waldbadens, haben die Wissenschaftler:innen herausgefunden. Wer die Natur ganz bewusst genießt und in sich aufnimmt, ist glücklicher und entspannter, hat weniger Stresshormone im Blut und mehr Abwehrkräfte, haben zahlreiche Studien festgestellt. Ganz gleich, ob es sich dabei um Grüne oder Blaue Räume handelt.
Schon ein Fluss tut gut.
Bei einem Aufenthalt am Meer spielen Mediziner:innen zufolge aber noch weitere gesundheitlich fördernde Aspekte eine Rolle. Seeluft ist relativ arm an Allergenen, wie etwa Pollen, was Menschen mit Allergien besonders zugute kommt. Dafür enthält sie aber feinste salz-, jod- und magnesiumhaltige Flüssigkeitströpfchen, die eingeatmet werden und so in den Nasen-Rachen-Raum , die Luftröhre und in die tieferen Atemwege vordringen. Diese feuchte und salzhaltige Luft kann den zähflüssigen Schleim in der Lunge verringern, wodurch die Atmung verbessert wird.
Die frische Seeluft eignet sich aber auch für Menschen mit Hauterkrankungen wie Schuppenflechte
oder Neurodermitis, denn das leicht entzündungshemmende Salz der Luft, schlägt sich auch auf der Haut nieder und lindert den Juckreiz.
Der Umweltpsychologe Mathew White von der britischen Universität vo Exeter, der auch an der Studie beteiligt war, geht sogar noch einen Schritt weiter. Er sagt, positive Wirkungen auf Körper und Geist würden sich nicht nur am Meer einstellen, sondern auch Seen, Flüsse und Kanäle seien auch solche Orte, die er Blue Spaces nennt, also: Blaue Räume.
Im Zuge des interdirziplnären Projekts „Blue Health“ erforschte er zusammen mit Wissenschfteler:innen aus ganz Europa über mehrere Jahre hinweg die Auswirkungen derartiger Blauen Räume auf die körperliche und geistige Gesundheit. In seinen Studien fand er unter anderem heraus, dass selbst kleinere Blue Spaces, wie etwa Bebauungen mit Springbrunnen, von Versuchsteilnehmer:innen positiv aufgenommen wurden. „Man braucht nicht einmal nass zu werden“, sagt White, „es genügt sich in der Nähe des Wassers aufzuhalten, um von den positiven Wirkungen zu profitieren.“
Aus der „Frankfurter Rundschau“ Freitag, 13. September 2024 (Wirtschaftsteil)
In der Perfektionismusfalle
Eine zu hohe Eigenerwartung ist einer der Haupt Stresstreiber am Arbeitsplatz, zeigt eine Umfrage. Häufig stehen hinter den unerfüllbaren Ansprüchen an sich selbst jedoch Personalmangel und unrealistische Zeitvorgaben
von Christoph Höland
Eine Umfrage der Kaufmännischen Krankenkasse Hannover (KKH) irritiert Fachleute. Der KKH-Erhebung zur Folge sind weniger die Anforderungen von Chefinnen und Chefs für Stress im Berufsleben verantwortlich. Stattdessen seien hohe Ansprüche die Beschäftigte an sich stellen, der häufigste Stresstreiber, erklärte die KKH. Beschäftigte steckten in einer „Perfektionismusfalle“.
Immer mehr Beschäftigte in Deutschland leiden unter stressbedingten Erkrankungen, etwa Burnout, wie die Erhebung der KKH zeigt. Der Befund allein ist nicht neu, die Krankenkasse hat aber auch nach den Gründen geforscht. Hoher Zeitdruck (62 Prozent), hohe Erwartungen der Vorgesetzten (40 Prozent) und Überstunden (32 Prozent) treiben der Untersuchung zufolge den Stresspegel hoch. Als größten Stresstreiber identifizierte die Krankenkasse die Beschäftigten selbst: 65 Prozent der Befragten ringen demnach mit ihren eigenen Ansprüchen an sich und ihre Arbeitsleistung.
Stressen sich Beschäftigte also vor allem sich selbst? Womöglich sogar unnötigerweise? Fachleute warnen vor zu einfachen Deutungen der Ergebnisse.
Dass viele Beschäftigte mitunter an ihre Belastungsgrenze gehen, ist kein Geheimnis. „Die hohe Belastung wird als persönliches Problem verhandelt, weil die Rahmenbedingungen unverhandelbar sind“, sagt Nicole Mayer-Alhuja, Arbeitssoziologin an der Universität Göttingen.
Eine zentrale Rolle spielt ihr zufolge die sogenannte zielgesteuerte Führung: Etwa seit den Achtzigerjahren verlieren konkrete Handlungszuweisungen in den Betrieben an Bedeutung. Heute geben Unternehmen stattdessen oft Ziele vor, etwa einen bestimmten Umsatz, den einzelne oder Abteilungen knacken sollen. „Auf den ersten Blick ist das ein attraktives Angebot: Man kann die Arbeitsschritte selber planen, die Zeit flexibel einteilen und auch von zuhause aus arbeiten“, sagt Mayer-Ahuja.
Der Gewinn an Autonomie wird indes zum Problem, wenn nicht genügend Zeit, Personal oder Arbeitsmittel zur Verfügung stehen, um die Ziele zu erreichen. Beschäftigte haben dann das Gefühl trotz fehlender Ressourcen für die Erfüllung ihrer Aufgaben verantwortlich zu sein, fasst Mayer-Ahuja Studien zur Arbeit in Fabriken, Büros und anderen Einrichtungen zusammen. „Und wenn dabei Stress entsteht, haben Beschäftigte den Eindruck, es liegt an ihnen selbst“, sagt die Professorin.
„Insbesondere bei Projektarbeit sind die von den Unternehmen gemachten Zeitvorgaben häufig unrealistisch“, ergänzt die Wuppertaler Arbeitspsychologin Silke Surma, die das Institut für Gesundheitspsychologie leitet. Schlussendlich kompensieren Beschäftigte dann Managementfehler durch Mehrarbeit: „Selbst wenn die Arbeit Spass oder stolz macht, können solche Arbeitssituationen langfristig zu psychischen Erschöpfungszuständen führen, da Erholungszeiten nicht eingehalten werden oder die Mitarbetenden mental nicht mehr abschalten können“, sagt Surma.
Schließlich gebe es Fälle, in denen Beschäftigte zwar klare Vorgaben zur Bewältigung ihrer Arbeit haben, deren Ausführung aber ihren persönlichen Wertvorstellungen widerspricht. Pflegekräfte etwa leiden besonders häufig darunter, dass sie unter den gegebenen Bedingungen, nicht so pflegen können, wie sie es für geboten halten, sagt die Göttinger Arbeitssoziologin Nicole Mayer-Ahuja: „Auch das ist kein individueller Defekt im Sinne eines übertriebenen Perfektionismus, sondern ein strukturelles Problem“, erklärt sie mit Blick auf Arbeitsbelastung und Personalmangel in der Pflege.
Aus Sicht der Forscherinnen ist deshalb klar, dass der Kampf gegen Stress sowohl strukturelle als auch individuelle Ursachen in den Blick nehmen muss. „Verallgemeinerungen und Schuldzuweisungen zwischer der Unternehens- und Mitarbeitendenebene sind nicht hilfreich“, sagt Silke Surma, die auch Unternehmen berät. Gut gestaltete Arbeitsbedingungen und Organisationsprozesse seien für alle Beteiligten ein Gewinn. Mitarbeitende fühlen sich weniger gestresst, „und die Arbeit ist motivierender, was sich wiederum positiv auf die Produktivität und Qualität der Arbeit auswirkt“.
Neu sei das alles nicht, erklärt Surma. Die Arbeitspsychologie wisse seit 50 Jahren um die Vielschichtigkeit des Kampfes gegen Stress. In den Personalabteilungen großer Unternehmen seien die Erkenntnisse auch teilweise angekommen. Anders sehe es bei kleinen und mittleren Unternehmen aus. „Die sind oftmals nicht so weit“, sagt die Arbeitspsychologin, „dabei müssten sie es sein, weil die Belastungssituation der Mitarbeitenden durch den Personalmangel immer größer wird“.